Inselrezept: Wellems Grünkohl zum Biikebrennen

Biikebrenne in Süddorf auf Amrum im Jahr 2019

In ihrer rauen Schönheit hält meine Heimatinsel Amrum im Winter ihren Atem an. Trotzt unbeeindruckt den tosenden Winterstürmen und wartet geduldig darauf, Ende Februar von knisternden Flammen wieder aus ihrem Winterschlaf geweckt zu werden. Denn während der Rest der Republik im Februar mit verrückten Kostümierungen, Büttenreden und Karpfen auf dem Kopf steht, werden auf den nordfriesischen Inseln stillschweigend riesige Berge von alten Weihnachtsbäumen und Gartenabfällen aufgeschichtet und feierlich beim Biikebrennen am 21. Februar verbrannt.

Biike ist das friesische Wort für Feuerzeichen, steht für den Abschied des Winters und ist auch als nordfriesisches Nationalfest bekannt. In meiner Kindheit reihte sich der Festtag ganz selbstverständlich neben Weihnachten, Silvester, Ostern und Geburtstagen in die Reihe der Jahreshöhepunkte ein. Und dass nicht nur, weil wir Inselkinder am Tag nach dem Biikebrennen immer schulfrei hatten. Es waren vor allem die mystischen Geschichten und Legenden rund um das friesische Feuerritual, die eine große Faszination auf uns ausübten: Wurden mit den Feuern böse Geister vertrieben und die neue Saat geschützt? War es ein Opferfeuer für den germanischen Gott Wotan? Oder ein Abschiedsfeuer für die Walfänger auf den Inseln?

Ganz abgesehen von den sagenumwobenen Ursprüngen des Festes sorgten die Vorbereitungen für das Biikebrennen dafür, dass wir Amrumer Kinder mitten in der eintönigsten und eisigsten Zeit des Winters gut beschäftigt waren: Unermüdlich stapelten wir bei peitschendem Nordwestwind und im stetigen Wettkampf mit den anderen Inseldörfern Äste und Stöcke auf unseren Biikehaufen, kokelten, bis wir von Kopf bis Fuß rabenschwarz waren, und stellten in gemeinschaftlicher Arbeit eine mannshohe Strohpuppe her, die wir an einer großen Holzstange befestigten. Diesen Piader schickten wir dann in der Petrinacht zusammen mit den bösen Geistern des Winters in das lodernde Feuer. Tranken warmen Kakao aus Thermosflaschen, grillten Würstchen über qualmenden Lagerfeuern und machten einen Sport daraus, so viele Gesichter wie nur möglich anzuschwärzen. Und während wir dort mit Alt und Jung und unseren rußverschmierten Nasen am winterlichen Feuer standen; am Horizont die Biikehaufen der Nachbarinsel Föhr mit ihrem rotorangenen Schein den nordfriesischen Nachthimmel erhellten, so glaube ich, dass auch in uns Inselkindern Jahr um Jahr ein Funke entzündet wurde. Ein Funke voller Hoffnung, Heimatliebe und tiefer Verbundenheit.

Nur mit dem traditionellen Grünkohlessen nach dem Biiken konnten wir uns als Kinder nicht so recht anfreunden. Ursprünglich von einem Sylter Gastwirt erfunden, möchten heute jedoch weder Insulaner noch die zahlreich angereisten Urlauber auf das deftige Festmahl verzichten. Einer, der daher schon unzählige Biikeabende mit dampfenden Grünkohltöpfen am Herd verbracht hat, ist der Amrumer Koch Wellem Peters. In seinem Kult-Restaurant „Seekiste“ im Ortskern des Friesendorfes Nebel hat er viele Jahre lang den durchgefrorenen und rauchig-rußigen Gästen raue Mengen an Grünkohl, Kasslernacken, Kochwürsten, Schweinebacken und Kartoffeln aufgetischt. Sein Geheimnis für den traditionellen „Greenkual“-Schmaus*? Ein einfaches Rezept sollte auch einfach gehalten werden. Und viel wichtiger als die exakten Mengenangaben sei das Gefühl beim Kochen. Aber es gibt noch mehr Tricks: Bei Wellem werden die Bratkartoffeln immer in einer gusseisernen Pfanne und vor allem ohne Zwiebeln gebraten. Alternativ bietet er Salzkartoffeln an. Auch werden der Grünkohl und das Fleisch in der Seekiste, abweichend von vielen anderen Rezepten, nicht im gleichen Topf geschmort. „An so“, versichert uns Wellem, „woort det rocht, rocht gud!“*.

Zutaten (für 6 Portionen)

Für den Grünkohl:

  • 2 kg Grünkohl
  • 3 mittelgroße Zwiebeln
  • 1 geräucherte Schweinebacke
  • 800 g Kasslernacken
  • 4–6 Kochwürste
  • 80 g Schweineschmalz
  • 1 Klecks Butter
  • Gemüsefond
  • Salz und Pfeffer
  • evtl. Maizena
  • evtl. Senf zum Servieren
  1. Schritt: In einem großen Topf Schweinebacke und Kasslernacken mit Wasser bedecken und bei mittlerer Temperatur köcheln lassen. Die Schweinebacke ist nach ca. 30 Minuten fertig, der Kasslernacken braucht eine gute Stunde. Da jedes Stück Fleisch unterschiedlich ist, sollte die Schweinebacke und der Kasslernacken während des Kochens regelmäßig mit einer Fleischgabel getestet werden. Nach dem Garen die Fleischstücke aus dem Sud holen, in Alufolie wickeln und beiseitelegen. Sud aufbewahren.
  2. Schritt: Währenddessen die Blätter des Grünkohls vom Mittelstrunk lösen. Das geht prima zwischen Zeigefinger und Daumen – abziehen und fertig. Anschließend gründlich waschen – die kleinen Tierchen können hartnäckig sein. Nach dem Waschen die Blätter 4–5 Minuten im sprudelnden Salzwasser blanchieren. Abtropfen lassen und die Blätter ausdrücken, um die Bitterstoffe zu reduzieren. Bei Bedarf in kleine Stücke schneiden.
  3. Schritt: Zwiebeln hacken und im Schweineschmalz in einem großen Topf leicht andünsten. Nach und nach den Grünkohl hinzugeben und alles gut verrühren. Mit dem Fleischsud ablöschen. Gerne zusätzlich ein wenig Gemüsefond beigeben. Den Grünkohl ungefähr eine Stunde vor sich hin köcheln lassen.
  4. Schritt: Die Kochwürste mit einer Gabel punktieren. Kurz bevor der Grünkohl fertig ist, die Würste 10–15 Minuten in Wasser kochen lassen.
  5. Schritt: Den Grünkohl vom Herd nehmen, einen Klecks Butter dazugeben und mit Salz und Pfeffer abschmecken. Bei Bedarf mit ein wenig Maizena nachdicken. Das Fleisch nun aus der Alufolie wickeln, aufschneiden und zusammen mit den Kochwürsten auf dem heißen Kohl anrichten.

Für die Bratkartoffeln:

  • 1 kg festkochende Kartoffeln, gekocht vom Vortag
  • 300 g Bauchspeckwürfel
  • Speiseöl zum Braten
  • Salz

Zusätzlich:

  • eine gusseiserne Bratpfanne (wenn vorhanden)
  1. Schritt: Die vorgekochten Kartoffeln in Scheiben schneiden (ca. 0,6 cm Dicke).
  2. Schritt: Gusseiserne Pfanne vorwärmen. Öl hinzugeben und kurz heiß werden lassen. Kartoffeln und Speckwürfel dazu geben und kräftig salzen.
  3. Schritt: Unter wiederholtem Wenden knusprig braten. Geduld! Das dauert länger als man denkt.

Grünkohl zusammen mit den Bratkartoffeln und Senf servieren. Kühles Bier einschenken, Aquavit bereitstellen.

Läät‘t jam smääk!*

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Zum Schluss noch:

Schwedische Grünkohlsuppe:

Für alle, die wie ich zum Biikebrennen nicht auf das leckere Wintergemüse verzichten möchten, aber keine Lust auf große Fleischberge haben, gibt es hier noch das Rezept für eine schwedische Grünkohlsuppe von meiner Mutter.

Für eine vegetarische Grünkohlsuppe (4 Portionen) könnt ihr 400 Gramm Grünkohl waschen, blanchieren und ausdrücken (siehe Schritt 2 oben). Anschließend den Grünkohl mit ein wenig Sud im Küchenmixer zerkleinern. 1 L Gemüsebrühe aufkochen und den zerkleinerten Grünkohl hinzugeben. 2 Esslöffel Butter/Margarine und 2 Esslöffel Weizenmehl zu einer Paste verrühren und unter Rühren in den Topf geben. Einige Minuten kochen lassen, bis die Suppe eine dickflüssige Konsistenz bekommt. Mit Salz, Pfeffer und Thymian abschmecken. Die Suppe mit gekochten Eihälften servieren.

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*Übersetzungen aus dem Amrumer Friesisch (Öömrang):

Greenkual – Grünkohl

An so …woort det rocht, rocht gud! – Und so…wird es richtig, richtig gut!

Läät‘t jam smääk! – Lasst es euch schmecken!

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Mehr Informationen über die Ursprünge von Biike (auf Amrum auch Biake genannt) findet ihr bei der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte.

2 Kommentare zu „Inselrezept: Wellems Grünkohl zum Biikebrennen

    1. Die einen nehmen Haferflocken, die anderen geriebene Kartoffeln und Wellem nimmt Maizena – wenn überhaupt 😉. Denn meistens, so sagt er, müsse er gar nicht nachdicken. Aber auch wenn es unzählige Rezeptvariationen und so einige Zeitvertreibe gibt, die den Weg zum Grünkohlpott ebnen, so bleibt doch der grüne, krause Kohl das verbindende Element. Und dieser schmeckt einfach nach Heimat wie kein Zweiter!

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