
„Etwas zu wagen, bedeutet zu leben. Etwas zu wagen, erfordert Mut. Mut auf seine innere Stimme zu hören. Mut, es zu wagen, sein Herz zu verlieren.“
Annika Gustavsson Nyberg, Goldschmiedin
Das Buch „Våga Våga“ handelt von Mut und starken Inselfrauen. Denn „Våga Våga“ heißt „wagen zu wagen“. Und auf der schwedischen Insel Gotland findet man besonders viele mutige Frauen, die es gewagt haben, ihren eigenen Weg zu gehen und auf ihre innere Stimme zu hören. Denn hier, auf einer kleinen Insel mitten in der Ostsee, werden mehr Unternehmen von Frauen gegründet als im Rest von Schweden. Ob es daran liegt, dass Gotland die Heimat von Pippi Langstrumpf ist? Dem stärksten und mutigsten Mädchen der Welt? Oder daran, dass die Selbstbestimmung von Inselfrauen, und das nicht nur auf Gotland, schon immer größer war als anderswo?
„Wenn ich an die Idee glaube, gebe ich nicht auf!“
Inga Lagerqvist, IT-Beraterin
Annika Gustavsson, Goldschmiedin in Visby, geht der Frage auf den Grund und porträtiert in ihrem Buch „Våga Våga“ 100 gotländische Unternehmerinnen aus vielen verschiedenen Branchen. Friseurinnen, Gärtnerinnen, Bäckerinnen, Hebammen, Schriftstellerinnen, Hotelbesitzerinnen, Künstlerinnen, Yogalehrerinnen, Imkerinnen, Illustratorinnen, Bäuerinnen … . Alle mit ihrer einzigartigen Geschichte. Alle mit dem Mut, ihren Träumen und Visionen zu folgen.
Aber was hat sie dazu gebracht, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen? Wo finden sie ihre Inspiration? Was bedeutet Erfolg für sie? Welchen Einfluss hat die Insel Gotland als Wohn- und Arbeitsort auf ihre Unternehmensgeschichte? Und welche Tipps haben sie für alle, die gerne etwas wagen wollen, es sich aber noch nicht getraut haben?
„Wir hatten alle Schwierigkeiten, an uns selbst zu glauben, aber wir glaubten aneinander.“
Marie Nilsson Lind, Musikerin
Kraftort und Gemeinschaft
In der Porträtsammlung werden auf über 300 Seiten mit einfühlsamen Texten und ansprechenden Bildern Antworten auf diese Fragen gefunden. In vielen der Erzählungen nimmt dabei die Insel Gotland mit ihrer kargen Natur, dem Meer und den inspirierenden Menschen einen speziellen Platz ein. Denn hier lässt sich nicht nur aufgrund der kurzen Wege das Arbeits-und Familienleben hervorragend kombinieren, sondern es ist auch Tradition auf der Insel, dass sich Frauen gegenseitig helfen und unterstützen. Caroline Munthe Mossvall, die zusammen mit einer Freundin alkoholfreien „Sparkling Tea“ auf den Markt gebracht hat, bezeichnet Gotland sogar als das „Hollywood Schwedens“. Mit der fantastischen Unterstützung und den hervorragenden Netzwerken auf der Insel gäbe es hier eine gute Chance, mit seinem Unternehmen Erfolg zu haben. Auch Andréa Ekström, Yoga- und Pilateslehrerin auf Fåro, durfte nach ihrem Umzug von Berlin die Erfahrung machen, dass man auf einer Insel schneller in Kontakt mit den richtigen Leuten kommt und mit seinen Talenten und Kompetenzen gesehen und willkommen geheißen wird. Sie erzählt, dass Frauen auf Fårö, der kleinen rauen Insel nördlich von Gotland, schon immer Überlebenskünstlerinnen waren und sich hier nur durch harte Arbeit und gute Zusammenarbeit ganzjährig versorgen konnten.
Für mich ist es ein wichtiger Antrieb, meiner Tochter zu zeigen, dass man seine Zeit mit bedeutungsvollen und Freude erfüllenden Sachen verbringen sollte. Und dass es wenige Dinge gibt, die unmöglich sind.“
Sofia Erlandsdotter Dinneny, Immobilienmaklerin
Wurzeln und Familie
Sowie Andréa, deren Oma auf steinigem Boden und unter harschen Wetterbedingungen eine kleine Landwirtschaft auf Fårö betrieb, haben viele der porträtierten Frauen ihre Wurzeln auf der Insel. Sie sind in Betrieben mit hart arbeitenden Eltern aufgewachsen und haben von Kindesbeinen an mitgeholfen. Vivienne Thomsen, Führungscoachin, berichtet beispielsweise, dass sie als jüngstes Geschwisterkind auf einem gotländischen Bauernhof mit drei Generationen unter einem Dach groß geworden ist. So habe sie schon früh gelernt, hart zu arbeiten, Ausdauer zu haben und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Gleichzeitig wurde in ihr schon als Kind die Neugierde geweckt, herauszufinden, wie Menschen in verschiedenen Beziehungen miteinander funktionieren – der Grundstein für ihr heutiges Unternehmen. Auch My Wrethagen ist mit einer Mutter, die sich als selbstständige Schneiderin durchschlug, auf Gotland aufgewachsen. Nach einigen Jahren Studium und Arbeit auf dem Festland betreibt sie heute ein Hotel und ein Restaurant auf der Insel und sieht dabei ihre Mutter immer noch als ihr wichtigstes Vorbild. Während andere abends Netflixserien schauen, putzen sie und ihr Mann zusammen Hotelzimmer, die beiden Kinder schlafend im Kinderwagen davor. Und es ist genau dieser Alltag, in dem sie ihre Leidenschaft und ihr Familienleben kombinieren kann, den sie sich schon immer gewünscht hat und für den sie die viele Arbeit gerne in den Kauf nimmt. Aber nicht alle im Buch vorgestellten Frauen kommen ursprünglich von Gotland. Viele von ihnen hat nicht nur die einzigartige Natur, sondern auch die Aussicht auf eine freiere Zeiteinteilung und eine bessere Work-Life-Balance auf die Insel gelockt. Eine von ihnen ist Emma Åhlström, die in einer großen Bäckerfamilie in der schwedischen Provinz Småland aufgewachsen ist und heute ein Restaurant, eine Töpferei, eine Kaffeerösterei sowie einem Café im Norden Gotlands ihr Eigen nennen darf. Nachdem sie ihren Karrierejob in der Großstadt an den Haken gehängt hatte, fand sie letztendlich auf Gotland einen Platz, der sie an ihre eigene Kindheit erinnerte und an dem sie ihre Träume wahr werden lassen konnte. Zwar nicht unbedingt mit weniger Arbeit – dafür aber mit mehr Familienzeit, Authentizität, Kreativität und Selbstbestimmung.
„In den Augenblicken, in denen mich Zweifel überkamen, habe ich das gemacht, was ich immer mache. Ich schrieb sie mir von der Seele, redete und weinte. Um danach wieder aufzustehen und wieder zurückzukommen. Denn es gibt keinen anderen Weg, als es immer und immer und immer wieder zu wagen.“
Amalia Ericsson, Designerin
Rückenwind und Gegenwind
Obwohl die Frauen im Buch von Gotland als Wohn- und Arbeitsort schwärmen, so verlief der Weg zum eigenen Unternehmen in den allermeisten Fällen nicht gerade. Verschiedene Widerstände, Stolpersteine und Schicksalsschläge haben die Inselfrauen auf ihrem Lebensweg immer wieder vor große Herausforderungen gestellt. Und so sind die Geschichten im Buch von Scheidungen, Todesfällen, Krankheiten, Unglücken, der Pandemie sowie finanziellen Schwierigkeiten durchwebt. Aber auch vom Mut, den es braucht, sich verletzbar zu zeigen, sowohl Erfolge als auch Misserfolge zu akzeptieren und immer wieder aufzustehen. Eine, die ihren Mut des Öfteren auf die Probe stellen musste, ist Lena Di Corsi, Fitnesstrainerin. Nachdem sie mit ihrem Lebensmittelladen in Konkurs gegangen war, in Thailand knapp dem Tsunami entkommen konnte und mehrere gesundheitliche Herausforderungen gemeistert hatte, fand sie im Training ihr Glück und ihre Berufung. Mit ihrer Devise, dass „man im Grunde genommen gesund sein muss, um es zu schaffen, krank zu sein“, hilft sie seither als Personal Trainerin Krebs-, Burn-out und Parkinsonpatienten sowie ihren Angehörigen, sich körperlich und psychisch zu stärken und ihre Lebensfreude wiederzufinden. Auch wenn es wirtschaftlich gesehen nicht immer einfach für Lena ist, hat sie durch ihre Aufgabe so viel Sinn und Kraft gefunden, dass für sie ein Aufgeben nicht infrage kommt. Auch andere Frauen im Buch zeigen, dass es sich immer wieder lohnt, nach neuen Möglichkeiten zu suchen und für Veränderungen offen zu sein. So nutzt Josefine Eriksson, Eventmanagerin, während der Corona-Pandemie die freigewordene Zeit, um sich kurzerhand im Bereich „Digitale Eventproduktion“ weiterzubilden. Und kann damit viele neue, langfristige Projekte an Land ziehen. Auch die heute sehr erfolgreiche Knäckebrotbäckerei von Ise Ljungqvist ist aus einer Notsituation entstanden. Nach einer langfristigen Krankschreibung und darauffolgender Kündigung nutzt sie die Chance, den Tipp eines Freundes in die Tat umzusetzen und gotländisches Delikatessenknäckebrot herzustellen. Ein voller Erfolg, für den Ise viel Freizeit geopfert und viel Freiheit gewonnen hat.
„Es muss nicht immer werden, wie man es sich gedacht hat, manchmal wird es noch besser!“
Lia Boysen, Schauspielerin und Restaurantbesitzerin
Annika Nyberg ist es mit ihrem Buch gelungen, die besondere Kraft der gotländischen Frauen eindrucksvoll und ehrlich zu porträtieren. Die Frauen in der Porträtsammlung strahlen Selbstständigkeit, Stolz, Verletzbarkeit und Freude aus. Und haben mich mit ihren Geschichten sowohl berührt als auch inspiriert. Und das, obwohl ich zunächst etwas skeptisch war: Warum den Fokus auf Unternehmerinnen legen, wo es doch ganz unabhängig vom Berufsstatus so viele außerordentliche Frauen auf dieser Insel gibt? Aber mit jeder Seite, die ich in dem zwei Kilogramm schweren Buch umblätterte, schwanden meine Zweifel und wuchs mein Enthusiasmus. Denn es ist wichtig und gut, Frauen in der immer noch männerdominierten Geschäftswelt in das Scheinwerferlicht zu rücken. Und auf diese Weise mehr Frauen zu ermutigen, Platz einzunehmen, ihre eigenen Erfolgsbarometer zu setzen sowie ihrem Herzen zu folgen. Anstoß für das Buch gab übrigens das Jubiläum zu 100 Jahren Frauenwahlrecht in Schweden, das 2019 gefeiert wurde. 100 Jahre Wahlrecht haben somit auf wunderbare Weise zu 100 porträtierten Frauen auf Gotland geführt. Und von Neuem die Wichtigkeit des Zusammenhaltes unter Frauen, einer starken inneren Antriebskraft sowie dem Mut, neue Wege zu gehen, unterstrichen.
Da das Buch nur auf Schwedisch erhältlich ist, ist es an dieser Stelle natürlich hauptsächlich als Inspiration zu verstehen. Ich habe mich nach dieser fantastischen Lektüre auf jeden Fall fast so stark und mutig wie Pippi gefühlt. Und stimme Lotta, Milchbäuerin auf Gotland, mit vollem Herzen zu:
„Ich sage es wie Pippi Langstrumpf: Das habe ich vorher noch nie versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“
Lotta Borgen, Milchbäuerin
Våga våga: 100 inspirerande kvinnor om mod och vägen till eget företag
von Caisa Gyllgårde, Emma Jönsson Dysell, Annika Gustavsson Nyberg
Våga Våga HB, 312 Seiten
Zu schade, dass es dieses Buch (noch) nicht in Deutsch gibt. Du hast es uns so wunderbar verkauft. Es waren auch in deinem Text und bei den Zitaten schöne Anregungen dabei. Um nur eins rauszupicken: Mir gefällt das Argument, auf Freizeit zu verzichten, um Freiheit zu gewinnen. Da steckt viel Wahrheit drin.
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Herzlichen Dank für Deine Worte. Ich finde Lebensgeschichten immer sehr faszinierend und in diesem Buch haben mich wirklich viele Erzählungen nachhaltig beschäftigt und zum Nach- und Umdenken angeregt. Da könnte ich noch viele Seiten mit Zitaten füllen. Und wer weiß? Vielleicht gibt es irgendwann mal eine Übersetzung oder eine deutsche Version der Inselfrauen! Ich werde davon berichten…
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Liebe Malin,
Vielen Dank! Auch ich liebe Lebensgeschichten, Geschichten, die das Leben schreibt. Auch ich bin vor 42 Jahren auf unsere Insel zurückgekommen mit dem Mut eine Töpferei zu eröffnen, habe es keine Minute bereut und liebe noch nach so vielen Jahren meine Arbeit und meinen Laden. Auf eine Übersetzung des Buches können wir uns freuen, denn aus den Geschichten der Frauen von Gotland werden vielleicht viele Frauen Anregungen für ihr eigenes Leben bekommen.
Meine Gedanken sind gerade bei den vielen Geflüchteten Frauen aus der Ukraine, die hoffentlich auch eine Chance für ein neues Leben in Deutschland und anderswo auf der Welt bekommen.
Liebe Malin, alles Liebe und weiterhin viel Freude an weiteren Übersetzungen,
Lieben Gruß von Amrum, Conny
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Liebe Conny! Herzlichen Dank für Deine Worte. Ja, gerade in Zeiten wie diesen brauchen die Frauen aus der Ukraine traurigerweise noch auf ganz andere Weise Mut und Unterstützung. Und ich hoffe sehr, dass die Frauen der Welt sich auch in dieser Situation gegenseitig helfen.
Ich habe beim Buch auch oft an dich und deine schöne Töpferei gedacht – denn auch auf Amrum gibt es viele starke Inselfrauen! Alles Gute und liebe Grüße von einer Insel auf die andere!
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Das klingt sehr spannend. Auch wenn ich bei aller Sprachenliebe warten müsste: mangels Verständnis 🙂
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Danke & tack! Da es den meisten hier wohl genauso wie dir geht, stehen hier der Gedanke und die Inspiration ganz klar im Vordergrund. Und was „Våga Våga“ heißt habt ihr ja jetzt alle zumindest schon einmal gelernt …😉!
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Das hört sich nach sehr spannenden Lebensgeschichten an ..Allein die Zitate machen diese Frauen so sympathisch und wecke.n Interesse 😂
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Danke für deinen Kommentar! Es sind tatsächlich spannende Lebensgeschichten von interessanten Frauen …
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Ich mag Bücher, in denen „wahre“ und authentische Geschichten erzählt werden, denn immer lerne ich daraus etwas. Ja, Freiheit kann einerseits durchaus mehr Arbeit bedeuten, andererseits aber auch Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und Autarkie. Deine Beispiele zeigen dies ganz wunderbar.
Vielen Dank für diesen tollen Buchtipp, den ich mir kaufen werde, wenn es ihn auf deutsch gibt!
Einen schönen Sonntag wünscht dir Rosie 🌞 🐞🌷
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Wie schön, dass dir die Buchvorstellung gefallen hat. Herzlichen Dank für Deinen Kommentar und liebe Grüße ✨!
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